Pussy-Aufstand in Österreich? Moskau ist uns näher als gedacht

Der Prozess gegen die russische Punkband Pussy Riot wäre in Österreich vielleicht ganz ähnlich ausgegangen wie in Moskau.

Das nennt man Marketing: Ein paar junge Frauen mit unbekanntem Gewerbehintergrund schließen sich in Russland unter dem englischen Namen Pussy Riot zusammen. Diese Bezeichnung, die jedermann milieu- und stimmungsabhängig sich selbst übersetzen kann, klingt offensichtlich so markant, dass man ihn auf der russischen Website der Gruppe nicht ins Kyrillische zu übertragen für notwendig erachtet. Nicht nur „Sex sells“ weltweit, sondern auch sexuelle Ausdrücke. Anschließend begeben sich die Pussy-Aufständischen in die Moskauer Erlöserkirche und rocken dort gegen die Regierung Putin. Das angestrebte Strafverfahren garantiert weltweite Aufmerksamkeit. Das Urteil wird etwa vom deutschen Außenminister und der deutschen Bundeskanzlerin gescholten.

Ist Größe wirklich gefährlich?

Trotz der Empörung der demokratischen Welt muss man doch froh sein, dass die Pussy-Damen ihren Schabernack nicht in Österreich getrieben haben. Hierzulande werden Oppositionelle, die sich mit der Religion anlegen, nämlich ebenfalls gerne strafrechtlich verurteilt – zuletzt etwa dann, als sich jemand über die sexuellen Praktiken des Propheten Mohammed äußerte. Wenn also Pussy Riot in einer österreichischen Religionsstätte – wobei eine Moschee weniger vogelfrei zu sein scheint als eine katholische Kirche – gegen den SPÖ-Bundeskanzler zu tanzen begonnen hätten, bin ich nicht sicher, ob das Urteil eines hiesigen Strafgerichtes gänzlich anders ausgefallen wäre als jenes in Moskau.

Manche Menschen im Westen sehen in Putin nach wie vor einen KGB-Offizier, der das Land im Geiste der KPdSU regiert. Sie übersehen aber nicht nur, dass die Kommunisten im heutigen Russland die zweitstärkste Kraft sind und sich gerade in Opposition zur Partei Putins befinden. Mit anderen Worten: Ohne Putin besteht die große Gefahr, dass die Kommunisten regieren könnten.

Weiters wird im Westen gerne übersehen, dass die Russen inklusive ihres Präsidenten ein sehr gläubiges Volk sind und in den Jahren nach dem Ende des Sowjetkommunismus zahlreiche Kirchen wieder aufgebaut haben – darunter auch die Erlöserkirche, in der selbst der russische Staatspräsident Weihnachten mit dem Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche zu feiern pflegt. Dass die Russen ihre Religion(en) nach mehr als 70 Jahren aufgezwungenem Atheismus zu schützen gewillt sind, darf nicht wirklich verwundern.

Möglicherweise hängt die Aversion gegen das heutige Russland mit einer allgemeinen Abneigung gegen all das zusammen, was mit Macht und ihrer Ausübung verbunden wird. Da die Machtlosen in der Macht gerne den Missbrauch sehen, um sich in der eigenen Machtlosigkeit wohl zu fühlen, wird die Größe dämonisiert. In Österreich, das seine Größe nun schon seit fast hundert Jahren verloren hat, versteht man dies besonders gut. „Denn die Größe ist gefährlich“ lautete der Titel eines bekannten historischen Buches. Vielleicht hängen die beginnenden Ansätze eines antirussischen Verhaltens aber auch damit zusammen, dass, wie einst der konservative britische Historiker Paul Johnson schrieb, die Sünde das Monopol des weißen Mannes geworden ist und damit der Antiamerikanismus als einzig salonfähiger Rassismus zumindest vorübergehend hintanzustellen ist. Psychologisch interessant haben Großmächte offensichtlich immer etwas Verdächtiges an sich.

Wenn gewisse Demokratiedefizite in Russland bemängelt werden, dürfen wir Österreicher uns daran erinnern, dass erstens auch unsere Republik nicht als lupenreine Demokratie begonnen hat und zweitens auch im heutigen Österreich der Einfluss der Regierenden auf die Medien gar nicht gering zu sein scheint. So wird Bundeskanzler Faymann von den Journalisten des ORF vergleichsweise harmlos interviewt, während sich Staatspräsident Putin öfter und eindringlicher den Fragen der vierten Gewalt öffentlich stellen muss. Ganz abgesehen davon bestand in unserem Land bis vor Kurzem die demokratiepolitisch seltsame Praxis, dass staatsnahe Unternehmen mehr oder weniger freiwillig insbesondere für den Bundeskanzler Inserate schalteten. Gar nicht denken möchte man schließlich an jene überhastete Abschiebung aus Österreich vor ein paar Monaten, der ein paar nächtliche Telefonate des russischen Botschafters mit den Spitzenbeamten der Justiz vorausgegangen sein sollen.

Hoffen auf unbefangene Gerichte

Staatspolitisch inkonsequent mutet schließlich die Kritik westlicher Politiker am Moskauer Urteil an. Während ein Urteil eines westlichen Landes angesichts des Prinzips der Gewaltenteilung allenfalls mit sehr viel Zurückhaltung aufgenommen wird, scheinen solche Hemmungen hinsichtlich einer Entscheidung eines ausländischen Gerichtes nicht zu existieren. Man stelle sich vor, Putin würde die Strafverfolgung der österreichischen Justiz gegen Oppositionelle kommentieren und die Mohammed-Entscheidung zum Anlass medienwirksamer Urteilsschelten nehmen. Solche Äußerungen würden zu Recht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates zurückgewiesen worden.

Im Übrigen haben wir Österreicher derzeit einen ganz besonderen Grund, auf die Unbefangenheit der russischen Gerichte zu hoffen. Nach dem Mord an einem österreichischen Wirtschaftsanwalt sind bekanntlich die beiden mutmaßlichen Täter in Moskau festgenommen worden. Eine Auslieferung ist auszuschließen – auch Österreich würde seine Staatsbürger nicht nach Russland ausliefern. So wird es einen Prozess in Russland geben, wobei, wie der Präsident des Wiener Straflandesgerichtes unlängst erklärte, die Täter zwischen einem Berufsrichter und einem Geschworenengericht wählen können. Die russische Gerichtsbarkeit ist uns also näher, als Pussy Riot und deren Verteidiger glauben machen.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt in Wien und Präsident des Klubs unabhängiger Liberaler.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2012)

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